Osijek: Slawoniens kulturelles Herz

Tvrda von Osijek

Ungefähr vier Stunden braucht der bequeme Reisebus der Firma Arriva von Zagreb nach Osijek. Bei Slavonski Brod verlässt er die Autobahn, macht einen Stopp und fährt dann durch langgezogene Dörfer, die aus einzelnen Hausreihen rechts und links von der Hauptstraße bestehen. Ich sehe Mais- und Sonnenblumenfelder, das Getreide in der Kornkammer von Kroatien ist bereits abgeerntet. So nennt man Slawonien, die Region ganz im Osten des Landes. Eine Woche werde ich sie erkunden und schlage dafür im Osijeker Gästehaus Maksimilian mein Lager auf.

Ich steige aus am Autobusni kolodvor, dem Busbahnhof in der Nähe der Eisenbahn-Station. Absichtlich nehme ich kein Taxi zur Unterkunft, um einen intensiveren ersten Eindruck meines neuen Aufenthaltsortes zu gewinnen. Mit meinem Rollenkoffer ziehe ich vorbei an so einigen Häusern, an denen der Zahn der Zeit nagt. Von den Fassaden blättert nicht nur der Putz ab, an ihnen klaffen auch Wunden des kroatischen Unabhängigkeitskriegs. Einschusslöcher – dieser Anblick gehört zum Stadtbild in Osijek.

Festungsmauern in Osijek
Foto: Kroatien-Liebe

Tvrđa – die Altstadt von Osijek

Ungefähr 25 Minuten dauert mein allererster Spaziergang in die Altstadt Tvrđa. Ihr Name bedeutet so viel wie Festung (kroatisch: tvrd = fest, hart) und sie diente auch einst den Österreichern als Verteidigungsanlage. Wie Matthias Koeffler in seinem Kroatien-Reiseführer erklärt, hatten die osmanischen Besatzer unter Ibrahim Pascha 1526 an der gleichen Stelle eine Festung errichtet. Die Habsburger zerstörten sie am 29. September 1687, um daraufhin ihr eigenes Bollwerk gegen die Türken zu bauen.

Anfang der 90er Jahre schien sich die jugoslawische Volksarmee nicht an den Mauern von Tvrđa zu stören. Die Spuren des Krieges sind nach wie vor an zahlreichen barocken Bauten präsent: Es gibt Häuser, die offenbar mit ihren Einschusslöchern verfallen, andere wirken tiptop renoviert.

Einschusslöcher in Osijek
Foto: Kroatien-Liebe

Das Leben geht aber weiter, in den Bars von Tvrđa tummeln sich jede Menge junge Leute. Ein Großteil sicherlich Studierende der Osijeker Universität. Neben sakralen Gebäuden wie die leuchtend gelbe Jesuitenkirche und das Franziskanerkloster haben sich in der Altstadt auch Teile der Uni angesiedelt: das Rektorat oder der Fachbereich Wirtschaft. Vor allem am Wochenende ist Tvrđa eine beliebte Ausgehmeile und ich logiere mittendrin.

Jesuitenkirche in Osijek
Foto: Kroatien-Liebe

Antiquitätenmarkt & Kinderfestival

Am 1. September habe ich Glück und erlebe unmittelbar vor der Haustür ein buntes Treiben, das nur an jedem ersten Samstag des Monats in Osijek stattfindet. Auf dem zentralen Platz von Tvrđa, dem Trg Svetog Trojstva (zu Deutsch: Platz der heiligen Dreieinigkeit), steigt ein Antiquitätenmarkt. Rund um die Pestsäule bieten Händler aber mehr als nur alte Möbel feil. Ich entdecke Geschirr, Schallplatten, Spielzeug, Kleidung, Schmuck und kaufe mir Naturkosmetik aus der Region. Derweil wird an Fressbuden für das leibliche Wohl gesorgt. Ich schlendere eine ganze Weile über den Markt, probiere hier und da Käse, Trockenfrüchte und Brotaufstriche.

Antiquitätenmarkt in Osijek
Foto: Kroatien-Liebe

Nicht das einzige Event an jenem Wochenende. In einem Park zwischen Tvrđa und dem Stadtzentrum dürfen sich Kinder am 31. August und am 1. September künstlerisch austoben. Das Festival heißt Zemlja bez granica (Land ohne Grenzen) – mit dem Land scheint die Kreativität der kleinen Besucher gemeint zu sein. Sie malen, basteln, machen Musik, spielen und beobachten abends am Ufer der Drava die Sterne.

Zemlja bez granica Osijek
Foto: Kroatien-Liebe

Jugendstil in der Europska Avenija

Von Tvrđa kann man mit Kroatiens erster Straßenbahn den Weg zum Stadtzentrum zurücklegen. Als das öffentliche Verkehrsmittel im Jahr 1884 seinen Betrieb aufnahm, wurde es noch von Pferden gezogen. Heute kostet eine einfache Fahrt 11 Kuna. Wer Osijek kennenlernen möchte, sollte den Weg zumindest beim ersten Mal zu Fuß gehen. Er führt durch die Europska Avenija mit ihren imposanten Jugendstilgebäuden. Schaut man an den Fassaden hoch, bemerkt man detailreiche Steinmetzarbeiten wie Figuren oder die für die Epoche typischen Gesichter im Gemäuer.

Europska Avenija Osijek
Foto: Kroatien-Liebe

Die Pracht von ein einst ist am Verwittern. Offensichtlich fehlt das Geld, um den Villen einen frischen Anstrich zu verpassen. In einer davon hat sich sogar der Trash-Sender RTL eingenistet!

Ich folge den Gleisen der Straßenbahn, die wie in Zagreb durch die Fußgängerzone tuckert. Es handelt sich um die Einkaufsmeile, wo ich mir zwei Kugeln leckeres Eis gönne und feststelle, dass sie ungefähr doppelt so groß sind wie in Berlin und umgerechnet halb so teuer sind. Währenddessen verscherbeln Schuhgeschäfte ihre Sommerware. Ich schlage also auch da zu und bin längst am Osijeker Hauptplatz angelangt.

Fußgängerzone von Osijek
Foto: Kroatien-Liebe

Hauptplatz und „Kathedrale“ von Osijek

Auf dem Trg Ante Starčević sprudeln Fontänen und seit 2007 erinnert eine vier Meter hohe Statue an den Namensgeber. Ante Starčević (1823 – 1896) war Publizist und überzeugter Nationalist, in seiner Nähe steht eine zweite Bronzeskulptur namens „Menschen“. Das Kunstwerk von Branko Ružić existiert an dieser Stelle schon seit 1979.

Kirche Sv. Petar i Pavao Osijek
Foto: Kroatien-Liebe

Die K.u.K.-Architektur rund um den Platz ist an mehreren Ecken unterbrochen. Graue Überbleibsel aus der Tito-Ära zeugen von der sozialistischen Vergangenheit des 20. Jahrhunderts. Der wirkliche Blickfang am Trg Ante Starčević ist aber die Kirche Sv. Petar i Pavao mit ihrem 90 Meter hohen Turm. Die Einheimischen nennen das neogotische Backstein-Bauwerk auch gerne Kathedrale. Diese Bezeichnung hat ihre Berechtigung, was man spätestens im Innern der Kirche erkennt.

Malereien in der Kirche Sv. Petar i Pavao Osijek
Foto: Kroatien-Liebe

An den Decken und Wänden kann man bunte Wand- und Deckengemälde bewundern. Spitzt man die Augen ein bisschen mehr, erahnt man die starke Beschädigung, die das Gebäude im Unabhängigkeitskrieg erfahren hat. Schwach registriert man noch die Granateinschläge an den Fresken.

Trg Ante Starcevic Osijek
Foto: Kroatien-Liebe

Uferpromenade und Lichtkunst an der Drava

Ich bummele weiter durch die Straßen und Parks von Osijek und finde vor allem an der Uferpromenade an der Drava Gefallen. Kilometerweit kann man an beiden Seiten des Flusses flanieren und Rad fahren. In der Nähe des Schwimmbads baden sogar Einheimische in der Drava. Mein Gastgeber Vladimir meint, dass das Wasser sehr sauber sei, doch so ganz kann ich ihm das nicht glauben.

Am Fluss ist es auch möglich, auf Restaurant-Schiffen zu speisen und in Bars die Seele baumeln zu lassen – alles im Schatten sozialistischer Jugo-Architektur. Am Rande der Promenade laden kreativ bemalte Bänke zum Ausruhen ein und abends erlebt man dort nach Einbruch der Dunkelheit ein wunderschönes Licht-Schauspiel. Eine Fußgänger- und Radfahrer-Brücke wird romantisch beleuchtet und wechselt in regelmäßigen Abständen die Farbe.

Beleuchtete Brücke in Osijek
Foto: Kroatien-Liebe

Wenn man auf der illuminierten Brücke steht, wirken die Mücken, die um die Stahlseile schwirren, wie Glühwürmchen. Sogar die Spinnennetze mit ihren lauernden Bewohnern verwandeln sich in Mini-Lichtkunstwerke. Nach all den Kriegen, die in und um Osijek getobt haben, ein durchaus erhellendes Zeichen für die Zukunft!

Beleuchtete Brücke in Osijek
Foto: Kroatien-Liebe

Schauplatz von Kriegen

Wir erinnern uns: Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt stark zerstört, Titos Regime vertrieb den riesigen deutschsprachigen Bevölkerungsanteil und sperrte ihn in Lager. 1991 wurde Osijek ein Jahr lang von der jugoslawischen Volksarmee belagert und beschossen. Wie bereits erwähnt, sprechen die Spuren des Unabhängigkeitskriegs immer noch eine mehr als eindeutige Sprache. Kreatives Schaffen und Tourismus entwickeln sich gerade, doch wie es in den Köpfen der Menschen aussieht, lässt sich trotz aller Herzlichkeit, die mir begegnet, nur erahnen. (as)

Autor

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Annika Senger
Annika Senger ist Gründerin und Chefredakteurin des Reise- und Kulturportals Kroatien-Liebe. Die passionierte Bloggerin und Reisevermittlerin interessiert sich für Reisen, Musik, Literatur, Sprachen, Kochen und Fotografie.
Adresse: Berlin, Deutschland

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