Die Anrede im Kroatischen: der Vokativ

Vokativ

Die Kroaten sind beim Thema Grammatik nicht gerade geizig und erfreuen uns Lernende nicht nur mit vier, sondern gleich mit sieben Fällen auf einmal. Um einen davon soll es heute gehen: den Vokativ (lateinisch: vocare – rufen). Als Deutsche empfand ich diesen Ruf- und Anredefall anfangs als sehr gewöhnungsbedürftig. Beim Sprechen und Schreiben ändert sich nämlich die Wortendung eines Namens oder Substantivs, wenn Personen (oder sogar Dinge!) direkt angeredet werden.

Der Vokativ bei männlichen Namen und Substantiven

Man stelle sich nun einen Mann mit Namen Boris vor. Rufe ich ihn, damit er zu mir kommt, würde ich auf Kroatisch sagen: „Borise, dođi k meni!“ (Boris, komm zu mir!)
In einem Brief an Boris wäre meine Anrede: „Dragi Borise, …“

Was lernen wir daraus? Männliche Vornamen und Substantive enden im Vokativ auf den Vokal e. Würde ich aber Boris gegen Ante eintauschen, ändert sich an Ante nichts, denn dieser kroatische Männername endet auf einem Vokal.

Hier gilt die Regel: Namen mit Vokalendung bleiben im Vokativ unverändert.

Ausnahmen:

Die obige Regel bezieht sich nur für regelmäßige Namen und Substantive. Endet das Wort auf č, ć, đ, dž, ž, nj, lj oder j (die sogenannten Palatale), steht im Vokativ am Ende des Wortes ein u.

Beispiel:

Aus „prijatelj“ (Freund) wird „prijatelju“, wenn man den Freund ruft oder anschreibt.
Solltet Ihr bei dem Ausruf „Mužu!“ an eine Katze denken, täuscht Ihr Euch. Das bedeutet „Ehemann!“
Nun kommt es natürlich sehr stark darauf an, mit welchem Tonfall man nach dem Gatten verlangt, aber das hat mit kroatischer Grammatik wenig zu tun 😉

Auch Substantive, die auf k oder c enden, haben einen unregelmäßigen Vokativ. So wird aus „čovjek“ (Mensch) in der direkten Anrede „čovječe“ oder aus „stric“, dem Onkel väterlicherseits, „striče“.

Die Endung „-že“ tritt bei Substantiven mit Endung g oder z auf. Beispiel: Aus „vrag“ (Teufel) wird „vraže“, sobald Ihr mit dem Teufel plaudert und ihn im Gespräch direkt anredet. 😉

Substantive mit Endung h bekommen im Vokativ die Endung -še verpasst, sind aber in der Alltagssprache eher selten. Denken wir nur an „kruh“ (Brot). Wann unterhalten wir uns mit dem Brot so intensiv, dass wir es mit „kruše“ ansprechen? Bernd das Brot versteht mit Sicherheit nur Deutsch!

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Der Vokativ bei weiblichen Namen und Substantiven

Bei weiblichen Namen mit der Endung a ändert sich in der gesprochenen Sprache im Vokativ nichts mehr. Schon häufiger habe ich kroatische E-Mails mit der Anrede „Draga Annika“ erhalten. Hieße ich aber Anica, würde der Vokativ „Anice“ lauten. Das a wird in der direkten Anrede immer durch ein e ersetzt, wenn der weibliche Vorname auf -ica endet.

Bei femininen Substantiven wie „majka“ (Mutter) oder „žena“ (Frau) ist es im Kroatischen die Regel, dass sich das a am Ende in ein o verwandelt, sobald man die Frauen direkt anspricht.

Beispiel: Bekäme ich eine kroatische E-Mail, in der ich gesiezt werde, könnte die Anrede folgendermaßen aussehen: „Poštovana gospođo Senger, ..“

Demnächst in Kroatien passiert es mir vielleicht, dass meine Emotionen überschwappen und mir dieser Satz über die Lippen sprudelt: „Oj Hrvatska, zemljo mila!“ (Oh Kroatien, geliebtes Land!) 😉 Was lernen wir daraus? Der Vokativ findet auch bei der Anrede von Ländern Anwendung.

Ein paar Worte zum Schluss

Ich hoffe, meine kurze Einführung in den Vokativ war verständlich! Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es eine Weile dauert, sich mit diesen speziellen Gepflogenheiten bei der Anrede im Kroatischen vertraut zu machen. Die deutsche, ständig als so schwer verteufelte Sprache hat an manchen Stellen eben doch weniger Tücken als Kroatisch.

Übrigens bin ich vor ein paar Jahren aus sehr persönlichen Gründen mit Finnisch in Kontakt geraten. Bei sieben Fällen haben sich die Finnen aber erst warm dekliniert und konjugiert: Die finnische Sprache winkt mit sage und schreibe 15 Fällen! (as)

Autor

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Annika Senger
Annika Senger ist Gründerin und Chefredakteurin des Reise- und Kulturportals Kroatien-Liebe. Die passionierte Bloggerin und Reisevermittlerin interessiert sich für Reisen, Musik, Literatur, Sprachen, Kochen und Fotografie.
Adresse: Berlin, Deutschland

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