BalkaNeu Festival in Düsseldorf: Was ist der Balkan?

Trovaci beim BalkaNeu Festival in Düsseldorf

Am 2. Oktober 2016 findet im zakk in Düsseldorf das erste BalkaNeu Festival statt. Die Initiatoren, darunter der Autor und Musiker Danko Rabrenović und die in Split geborene Literaturwissenschaftlerin Alida Bremer, wollen einen ganz neuen Zugang zum Balkan schaffen und die Region in ein positives Licht rücken.

Die südosteuropäische Halbinsel gilt einerseits als problematisch, arm und nationalistisch, andererseits als Inspirationsquelle für zahlreiche Künstler, Schriftsteller und Musiker.

In der Eröffnungsrede beim BalkaNeu Festival machen Alida Bremer und Danko Rabrenović ihre Ausgangsposition deutlich: Der ganze Balkan gehöre in die EU und die ehemaligen Kriegsgegner in Ex-Jugoslawien sollten sich gemeinsam an einen Tisch setzen.

Um den Balkan in Deutschland bekannter und salonfähiger zu machen, planen sie, in Zukunft neue Künstler aus den Balkan-Ländern in Düsseldorf vorzustellen. Auf kulinarischer Ebene locken sie im Hof mit Balkan-Spezialitäten wie Burek und Ćevapčiči.

LESUNG MIT JAGODA MARINIĆ

Um das Thema Integration dreht sich auch die Lesung mit der Schriftstellerin Jagoda Marinić, die 1977 als Tochter kroatischer Einwanderer im baden-württembergischen Waiblingen geboren wurde.

Sie liest Auszüge aus ihrem 2016 erschienenen Buch Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland? In diesem Werk versucht sie, Antworten auf die Frage nach „deutscher Identität“ zu finden.

Jagoda Marinić bewundert die Generation ihrer Eltern, die mit dem Traum von einem besseren Leben nach Deutschland kam und hierzulande härter für ihre Visionen arbeiten musste als in der verlassenen Heimat. Die Autorin betrachtet diese Einwanderer als „Traumhelden“ und „Visionäre“. Sie hätten Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg geholfen, sich selbst zu erneuern.

Das Buch thematisiert auch die Diskrepanz zweier aufeinanderprallender Mentalitäten oder das mit Vorurteilen aufgeladene Bild von „bildungsfernen Ex-Bauern“, deren Kinder dank des deutschen Bildungssystems die Chance auf sozialen Aufstieg erhielten.

Jagoda Marinić setzt sich in ihrer Literatur mit europäischen Alltagskulturen auseinander. Sie betont ebenso, dass sie in einem deutschen Umfeld sozialisiert worden sei und sich nach dem Abitur ein akademisches Umfeld gesucht habe, anstatt mit der „Jugo-Community“ Balkanpartys zu feiern.

Die studierte Germanistin, Politikwissenschaftlerin und Anglistin ist heute eine mit Preisen ausgezeichnete Intellektuelle. Zwischen zwei Kulturen aufgewachsen und später viel in der Welt herumgekommen, hat gerade ihr familiärer Background sie gelehrt, über verschiedene Tellerränder zu blicken. Seit 2012 leitet sie das Interkulturelle Zentrum in Heidelberg.

Lesung mit Jagoda Marinic beim BalkaNeu Festival
Foto: Kroatien-Liebe

PODIUMSDISKUSSION BEIM BALKANEU FESTIVAL

Nach der Lesung folgt eine Podiumsdiskussion, an der neben Jagoda Marinić auch Alida Bremer, Danko Rabrenović, die Filmkuratorin Gaby Babić und der Journalist und DJ Rüdiger Rossig beteiligt sind.

Was ist der Balkan? Was ist die Balkanisierung Europas? Diese beiden Fragen sind die Kernthemen der Diskussion. Jeder Teilnehmer eröffnet die Runde mit seiner persönlichen Balkan-Definition. Der Balkan bringe Zerfall und Chaos, so der Stereotyp. Andererseits zeichne sich gerade Ex-Jugoslawien durch eine vielfältige Musikszene und entdeckenswerte Filme aus.

Das enorme kreative Potential des Balkans kann eine starke Faszination auf Menschen ohne „balkanesische“ Wurzeln ausüben wie der taz-Redakteur Rüdiger Rossig unter Beweis stellt: Diese Liebe begann 1985, als er zum ersten Mal die kroatische Insel Lošinj bereiste und Freunde ihm Kassetten von Jugo-Rockbands zusteckten. Infiziert vom „Balkan-Virus“, studierte er anschließend Balkanologie und Soziologie, lebte in Zagreb und Zarajevo und spricht heute fließend Kroatisch.

Podiumsdiskussion beim BalkaNeu Festival in Düsseldorf
Foto: Kroatien-Liebe

KONZERT MIT DER BALKAN-BAND TROVAČI

Wie kreativ und musikalisch „Balkanesen“ anno 2016 sein können, demonstriert Danko Rabrenović beim BalkaNeu-Festival mit seiner Band Trovači. Die vierköpfige Kombo begeistert das Publikum mit einer tempogeladenen Mischung aus Ska, Reggae, Rock und Folklore-Elementen mit Posaune.

Der Frontman spielt Gitarre und singt einen Mix aus Deutsch, Serbisch und Kroatisch. Er ist der geborene Entertainer, der die Zuschauer zum Mitsingen und Tanzen animiert. Zwar schreibt er besser als er singt, doch eine Rampensau braucht nicht der größte Sänger vor dem Herrn zu sein, wenn die Stimmung so bombig ist wie beim Trovači-Konzert im zakk.

Auf dem weißen T-Shirt des Bandleaders prangt ein leuchtend roter Stern. Dieses Symbol lässt sich leicht als Aussage einer politischen Gesinnung deuten. Als außenstehende Kroatien-Liebhaberin mit deutschen Wurzeln erspare ich mir jegliche weitere Kommentare zu diesem Bühnen-Outfit.

Konzert mit Trovaci beim BalkaNeu Festival
Foto: Kroatien-Liebe

AFTER SHOW-PARTY MIT BALKAN-BEATS

Nach dem Konzert soll das BalkaNeu Festival mit einer After Show-Party ausklingen. Ich habe mich schon den ganzen Tag gefreut, zu der Auswahl an Balkan-Beats von DJ Ruce (alias Rüdiger Rossig) und DJ Smajo zu tanzen.

Leider ebbt die Stimmung gegen Mitternacht ab. Viele Besucher verlassen die Event-Location oder ziehen sich in den Hof und die verwinkelten Ecken des für Fremde recht unübersichtlichen zakks zurück.

Eine Anregung zu allen möglichen Gedanken zum Thema Balkan ist den Machern des Festivals trotzdem gelungen. Beim zweiten BalkaNeu Festival sollten sie allerdings einbeziehen, dass die Region weitaus mehr Staaten umfasst als das ehemalige Jugoslawien. (as)

Autor

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Annika Senger
Annika Senger ist Gründerin und Chefredakteurin des Reise- und Kulturportals Kroatien-Liebe. Die passionierte Bloggerin und Reisevermittlerin interessiert sich für Reisen, Musik, Literatur, Sprachen, Kochen und Fotografie.
Adresse: Berlin, Deutschland

Kommentare

10. November 2016
Schöner Beitrag Frau Senger! Ich habe noch nie etwas über BalkanBeats gehört und jetzt weiß ich was es ist! Werde auf jeden Fall mal reinhören :-)
23. März 2018
Hallo Frau Senger, sehr guter Beitrag. Als Laie konnte ich sehr gut nachvollziehen was BalkanBeats sind. Nebenbei sind auch schöne Bilder dabei. Danke!

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