Die Wunden verheilen, aber die Narben werden bleiben. Am 2. September besuche ich Vukovar, das Sinnbild für eines der schlimmsten Kriegsverbrechen an der kroatischen Bevölkerung. Zweieinhalb Monate habe ich das nicht nach außen posaunt, weil ich Angst hatte. Angst vor den falschen Worten! Liebe kroatischen Leserinnen und Leser, bitte habt ein wenig Nachsehen mit mir, wenn ich mich im Folgenden im Ton vergreifen sollte.
Meine erste Reise nach Slawonien führt mich in die Grenzstadt im Osten von Kroatien, wo die Vuka in die Donau fließt. Heute ein Stopp für Donau-Kreuzfahrtschiffe. Die Inhaber des Gästehauses Maksimilian in Osijek, Jasmina und Vladimir, laden mich ein zu einem Ausflug nach Vukovar. Zusammen mit ihnen, dem Guide Ivan und einer australischen Reisegruppe fahre ich dorthin. Unser Ziel ist das Krankenhaus.
Dreimonatiger Beschuss & Belagerung
Kurz vor der Ankunft beginnt Jasmina auf dem Beifahrersitz zu erzählen: vom Schicksalsjahr 1991, als Mitglieder der Jugoslawischen Volksarmee und diverser serbischer Freischärlerverbände die Stadt komplett zerstörten. Der Angriff begann am 25. August, bis zum 20. November konnten die kroatischen Verteidiger der Belagerung und dem täglichen Artilleriebeschuss trotzen.
Auf dem Weg zum Krankenhaus passieren wir eine langgezogene Wohnsiedlung mit Einfamilienhäusern. Jasmina weist auf Einschusslöcher hin – an den wenigen Gebäuden, die bei den Attacken mit Hunderttausenden von Granaten nicht in Flammen aufgegangen sind. Besonders stechen die zahlreichen unverputzten Rohbauten hervor. An den Backsteinen prangen Namen aus Farb-Sprühflaschen. Der Staat habe den Geschädigten neue Häuser gebaut, erklärt meine Gastgeberin. Die Fassaden wurden mit den Namen der Eigentümer versehen, damit sie ihr Zuhause wiederfinden. Viele dieser Häuser stehen leer, die Besitzer haben sich nach ihrer Flucht längst anderswo eine Existenz geschaffen.
Das Krankenhaus von Vukovar
Im Krankenhaus von Vukovar werden nach wie vor Patienten behandelt. Das Gebäude sei aber im Zuge der Kriegszerstörung ebenfalls neu errichtet worden, sagt Ivan, ehe wir den Gedenktrakt im Keller betreten. Ungefähr fünf Minuten schauen wir einen Film, der das Grauen von 1991 beklemmend dokumentiert. Beim Anblick der zerbombten Häuser und der zusammengepferchten, von Leid und blinder Angst gezeichneten Menschen im Atomschutzbunker des Krankenhauses kommen mir unweigerlich die Tränen!
Hier suchten sie Zuflucht. Pflegepersonal und Ärzte waren rund um die Uhr kräftezehrend im Einsatz. Wegen der zerschlagenen Infrastruktur musste Wasser abgekocht werden, jedem Patienten stand pro Tag nur ein halber Liter zu. Der Gang des Bunkers war zugestellt mit Krankenbetten. Obwohl Kranke und Verwundete sich in scheinbarer Sicherheit wähnten, schossen über ihnen zwei Bomben durch die Decke, eine davon wenige Zentimeter neben einem belegten Bett. Die beiden Einschlaglöcher zeugen noch immer von den Schreckensmomenten.
Verschleppung und Ermordung am 20. November 1991
In fensterlosen Krankenzimmern wurden Babys geboren, Kinder spielten auf engstem Raum zwischen Verletzten in der Dunkelheit. Bis zum 20. November 1991: An dem Tag nahmen Soldaten der Jugoslawischen Volksarmee rund 400 Patienten, Krankenhausangestellte und Zivilisten im Bunker gefangen. Etwa 300 (Zahlen variieren!) transportierten sie in die sogenannte Ovčara in den Feldern bei Vukovar, den Rest in Lager in Serbien. Auf der ehemaligen Schweinefarm wurden die Wehrlosen misshandelt und gefoltert, bis die Aggressoren sie ermordeten und in einem Massengrab verscharrten.
Gedenktafeln für die Opfer
Heute erinnern Gedenktafeln im Krankenhausgang an die Opfer. Auf den Platten mit schwarz geschriebenen Namen handelt es sich um Personen, deren Leichen identifiziert werden konnten. Sind sie mit einem Sternchen gekennzeichnet, möchten die Angehörigen nicht wissen, dass ihre Liebsten beim Massaker von Vukovar gestorben sind, erläutert Ivan das Vorgehen.
Die Gedenktafeln mit grauer Schrift halten die Namen der Verschollenen fest. Unter ihnen befindet sich auch der Franzose Jean-Michel Nicolier, der freiwillig für Kroatien kämpfte.
Durch einen winzigen düsteren Raum neben einem Krankenzimmer schallt die Stimme des TV-Journalisten Siniša Glavašević. Er hatte im Herbst 1991 wochenlang Kriegsberichterstattung geleistet. Dann wurde sein Leben in der Ovčara ausgelöscht.
Einer der Räume im Bunker ist heute ein Gedenkzimmer, gestaltet im roten Licht von Grabkerzen. Eine männliche Stimme rezitiert kontinuierlich die Namen der Ermordeten und Vermissten. Derweil spiegeln sich die Besucher verzerrt in den versilberten Wänden …
Schloss Eltz und seine Mahnmale
Beklommen folge ich der Gruppe zum Schloss Eltz. Einst war es Sitz der gleichnamigen deutschen Grafschaft, an die Vukovar nach dem Ende der türkischen Besatzung im 18. Jahrhundert verkauft worden war. Auf den ersten Blick ahnt man nicht, dass vor 27 Jahren von diesem barocken Prachtbau nur ein Gerippe übrig geblieben war.
Dann entdeckt man im Schlosspark doch zwei Mahnmale: einen verbrannten Baum und einen Turm mit abgerissener Spitze und Einschusslöchern. Das neben dem Krankenhaus wohl bekannteste Mahnmal von Vukovar – der Wasserturm – ist zurzeit eingerüstet. Wegen Einsturzgefahr wird er stabilisiert, außerdem soll das Restaurant aus Vorkriegszeiten inklusive Gedenkausstellung neu eröffnet werden.
Serben und Kroatien heute
Wir spazieren weiter durch die rekonstruierte Stadt, wo Ivan die aktuelle Lage der Bevölkerung veranschaulicht. Immer noch leben Kroaten und Serben nebeneinander statt miteinander in Vukovar. Es gibt serbische und kroatische Bars, separierte Schulklassen und getrennte Kindergärten. An offiziellen Gebäuden wurden für die serbischen Einwohner Schilder in kyrillischer Schrift angebracht, ihre kroatischen Nachbarn gingen auf die Barrikaden und mit Werkzeugen gegen die Schriftzeichen vor.
Ivan, der 1991 zwölf Jahre alt war und den Krieg in der Region hautnah miterlebt hat, ist nicht glücklich über die Feindseligkeiten zwischen Serben und Kroaten. Er berichtet: „Bei den Älteren legt sich das langsam, das Problem ist die jüngere Generation, die es nicht anders kennengelernt hat. Und was ist das? Nährboden für einen neuen Krieg!“
Der Ehrenfriedhof von Vukovar
Als die Reisegruppe längst von Ilok nach Serbien chauffiert worden ist, mache ich mit Vladimir einen Stopp am Ehrenfriedhof für die Opfer des Massakers. Laut der Tourismus-Seite von Vukovar sei es das größte europäische Massengrab nach dem Zweiten Weltkrieg. 938 weiße Kreuze stehen für die nicht Identifizierten – ein weiterer Ort, der hilflos macht vor dem Schatten von Krieg und Gewalt. (as)
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